“With all due respect, sir, fuck the President!”
Der Irak-Krieg zieht sich mittlerweile schon so lange hin, dass er als Stoff für Verfilmungen dient, noch bevor er Geschichte geworden ist. Vergingen nach dem Vietnamkrieg noch einige Jahre, bis Hollywood den Krieg Ende der Siebziger mit The Deer Hunter oder Apocalypse Now als Thema entdeckte, gab es zum aktuellen Irak-Krieg bereits eine komplette Fernsehserie, und mehrere Spielfilme, zuletzt den sehenswerten In the Valley of Elah von Paul Haggis.
Stop-Loss beginnt mit Kampfszenen im Irak, die auch eine Folge der Irak-Kriegsserie Over There sein könnten. Wir begleiten eine Gruppe von US-Soldaten bei ihrer Routinearbeit, einen Checkpoint an einer Ausfallstraße zu bewachen. Urplötzlich eskaliert die angespannte Situation, und Sg. Brandon King (Ryan Phillipe) wird mit seiner Einheit in einen tödliche Häuserkampf verwickelt. Wie nahe Heroismus und Kriegsverbrechen beieinanderliegen, zeigt eine Szene, in der Brandon seinen verletzten Kameraden Steve (Channing Tatum) auf eigene Faust aus einem Haus rettet, dabei aber neben einigen feindlichen Kämpfern mit einer Granate auch eine ganze Familie auslöscht.
Die Kriegsoptik in staubig-blutigen Wackelkamera-Bildern ist aber nur der Auftakt zum eigentlichen Geschehen, dass an der Heimatfront spielt. Bei der Rückkehr der Soldaten in die USA beginnt zunächst alles wie im Bilderbuch der Armee: Die texanische Heimatstadt bereitet den Heimkehrern einen glorreichen Empfang mit Parade und feiert sie als Helden, die tapferen Soldaten werden mit Orden behängt, und die Gefallenen ehrfürchtig betrauert.
Aber dabei bleibt es natürlich nicht, die Schrecken der Kriegserlebnisse holen die Veteranen ein. Steve gräbt sich volltrunken nachts im Vorgarten ein, weil er sich noch im Krieg wähnt. Tom (Joseph Gordon-Levitt, aus The Lookout) fängt unprovoziert Schlägereien an und schießt Stück für Stück die Hochzeitsgeschenke mit einer Schrotflinte zu Schrot, weil seine Frau ihn rausgeschmissen hat. Einzig Brandon hat sich halbwegs im Griff, er hat seinen Ausstieg aus der Armee klar vor Augen. Als er am vermeintlich letzten Tag seine Papiere zurückgeben will, erhält er aber aus heiterem Himmel wieder einen Marschbefehl in den Irak, seine Kündigung ist aufgrund des laufenden Krieges widerrufen worden (”you’ve been stop-lossed”). Stop-Loss ist eine höchst umstrittene aber gängige Praxis der US-Armee, die seit 2002 bereits knapp 60.000 Soldaten betroffen hat.
Ab hier verläßt Stop-Loss die üblichen Pfade eines Heimkehrerdramas. Die psychischen und physischen Verletzungen der Kriegsveteranen bleiben zwar ein bestimmendes Thema, aber die Hauptfigur Brandon ist durch den Krieg keine explodierende Zeitbombe wie Vietnam-Heimkehrer John Rambo geworden. Bis hier ein patriotischer Kriegsheld, entschließt sich Brandon zu desertieren, weil er erkennt, dass die Armee ihm seinen Einsatz nicht dankt und sich nicht an die eigenen Abmachungen hält – er desertiert nicht aus mangelnder Vaterlandsliebe oder Angst vor dem Kriegsgrauen, sondern weil er sich betrogen fühlt (”I ain’t scared, i am pissed off”).
Das Kriegsgeschehen im Irak wird immer mal wieder in Form von Videoaufnahmen eingebaut, die die Soldaten selbst gemacht haben – ein zwar effektives aber mittlerweile etwas abgegriffenes Stilmittel moderner Kriegsfilme. Hier allerdings nochmal in der gesteigerten Form, dass die Soldaten ihre Videos MTV-gerecht schneiden und mit Gangsta-Rap unterlegen (Stop-Loss ist übrigens eine MTV-Films Coproduction).
Ryan Phillippe, der vor kurzem noch in Flags of Our Fathers eine sehr ähnliche Rolle als heimkehrender Kriegsheld – nur ein paar Kriege früher – gespielt hat, macht seine Sache sehr überzeugend. Der anfangs sehr schlichte Sg. King wird durch ihn eine differenzierten Figur mit einer nachvollziehbaren Entwicklung, die eher zufällig zum Helden wird und zwischen naivem Patriotismus und Widerstand gegen die Ungerechtigkeiten des Systems schwankt. Auch der übrige Cast ist gut besetzt, neben den männlichen Protagonisten überzeugt Abbie Cornish als etwas schlichte desillusionierte Soldatenbraut Michelle. In einer Nebenrolle ist mal wieder der überaus wandlungsfähige Timothy Olyphant als kumpelhafter aber kompromissloser Vorgesetzer Lt. Col. Miller zu sehen.
Der Aufhänger von Stop-Loss ist die amerikanische Rekrutierungspraxis, transportiert daneben aber eine ganz ähnliche Aussage wie In the Valley of Elah: Wie der Krieg aus unschuldigen jungen Männern psychische Wracks macht, die in der Realität nicht mehr zurecht kommen. Dies aber nicht als das 08-15 Heimkehrerdrama, als das es zwischenzeitlich scheint. Die Geschichte ist erstaundlich unpatriotisch, umso erstaunlicher, weil hier nicht, wie bei In the Valley of Elah ein Außenseiter (der Kanadier Paul Haggis) Regie geführt hat, sondern Stop-Loss eine durch und durch amerikanische Produktion ist. Der Film zeigt entlarvende Situationen, etwa wie im texanischen Bierzelt über den Irakkrieg philosophiert wird: Hier geht es nicht mehr um “Befreiung” des irakischen Volkes, sondern es werden einfache “Lösungen” gefordert, um den Konflikt zu lösen: Z.B. bei Gegenwehr einfach ganze Städte zu zerbomben, “to send them right back to bible times”.
Nicht verwunderlich, dass ein Film mit einer solch unpatriotischen Botschaft beim US-Publikum gefloppt ist (wie übrigens auch In the Valley of Elah), und wohl deswegen bei uns gleich als DVD-Premiere erschienen ist.